Wir alle wünschen uns, dass unser Hund sich sicher und wohlfühlt – egal ob im Alltag, beim Spaziergang oder im Training. Doch manchmal zeigt ein Hund Verhalten, das oft falsch eingeordnet wird: sogenanntes Meideverhalten. Viele Hundehalterinnen hören dann Sätze wie: „Schau, er respektiert mich!“ oder „Gut so, er weiß, wer das Sagen hat.“ Doch was steckt wirklich dahinter – und warum ist es so wichtig, dieses Verhalten kritisch zu betrachten?
Was ist Meideverhalten überhaupt?
Meideverhalten bedeutet, dass der Hund einer Situation, einer Person oder einem Reiz bewusst ausweicht. Er versucht, Distanz zu schaffen, indem er sich abwendet, zurückweicht, den Blick senkt oder sogar einfriert. Oft sieht das für Außenstehende sehr „artig“ aus. Doch tatsächlich signalisiert der Hund:
➡️ „Ich möchte hier nicht sein.“
➡️ „Ich fühle mich unwohl.“
➡️ „Ich kann dir nicht vertrauen.“
Das ist kein Zeichen von Respekt oder „richtiger Unterordnung“. Es ist ein still geschrienes „Nein“, das viele Menschen leider übersehen – oder schlimmer noch: als erwünschtes Verhalten interpretieren.
Warum Meideverhalten problematisch werden kann
Wenn wir unser Bauchgefühl ignorieren und glauben, dass Meideverhalten „normal“ oder „gut“ sei, riskieren wir Folgendes:
- Verlust von Vertrauen
Der Hund lernt: Bei diesem Menschen ist es sicherer, auf Abstand zu gehen. Vertrauen und Bindung werden geschwächt. - Stress und innere Anspannung
Meideverhalten ist ein Zeichen, dass der Hund innerlich unter Druck steht. Dauerhafter Stress kann die Gesundheit beeinträchtigen und zu Verhaltensproblemen führen. - Gefahr der Eskalation
Wird der Hund gezwungen, trotz Meideverhalten in der Situation zu bleiben, kann er irgendwann keinen anderen Ausweg mehr sehen als Knurren, Schnappen oder Beißen. - „Gelerntes Schweigen“
Manche Hunde geben irgendwann komplett auf, ihre Gefühle zu zeigen. Sie wirken „funktionierend“ und „unproblematisch“ – innerlich aber haben sie resigniert.
Ein Blick in die Schule – die Parallele zu Kindern
Stell dir ein Klassenzimmer vor:
Eine Lehrerin steht vorne, die Kinder sitzen auf ihren Plätzen. Manche melden sich voller Begeisterung, stellen Fragen, lachen. Andere hingegen senken den Blick, sprechen kaum, ziehen sich zurück.
Wenn ein Kind den Blick senkt und still ist, würde keine gute Lehrerin sagen: „Super, dieses Kind respektiert mich, es macht keine Probleme.“ Sie würde vielmehr spüren: „Dieses Kind hat Angst, ist unsicher oder fühlt sich nicht wohl.“
Genau so ist es mit unseren Hunden.
Ein Hund, der sich wegdreht oder zurückzieht, zeigt nicht Respekt, sondern Unsicherheit. Und wie bei einem Kind ist es unsere Aufgabe, Raum für Vertrauen und Sicherheit zu schaffen, nicht für Distanz und Schweigen.
Was ist die bessere Alternative?
Statt Meideverhalten als etwas Positives zu sehen, dürfen wir lernen, die feinen Signale unseres Hundes ernst zu nehmen. Eine gute Alternative ist:
Kooperation statt Meidung
- Schaffe Sicherheit: Sorge dafür, dass dein Hund spürt: „Bei dir bin ich sicher, ich darf Nähe suchen, aber auch Abstand nehmen.“
- Baue Vertrauen auf: Arbeite mit deinem Hund auf Augenhöhe. Zeig ihm, dass seine Signale wichtig sind und gehört werden.
- Belohne Kontaktaufnahme: Wenn dein Hund freiwillig Blickkontakt oder Nähe sucht, bestärke ihn liebevoll.
- Respektiere Grenzen: Zwinge ihn nicht in Situationen, die er meidet, sondern baue langsam Vertrauen auf.
So entsteht ein Hund, der nicht „funktioniert“, weil er Angst hat, sondern einer, der aus freiem Willen mit dir zusammenarbeitet.
Dein Bauchgefühl zählt
Wenn du das nächste Mal im Training oder im Alltag merkst, dass dein Hund dir etwas mitteilt – hör hin. Stell dir die Frage: „Fühlt er sich hier wirklich wohl, oder weicht er aus?“
Und wenn ein Trainer oder eine Trainerin Meideverhalten deines Hundes als etwas Positives lobt, sei kritisch. Dein Bauchgefühl irrt sich selten.
Dein Hund braucht keine Autorität, die ihn kleinmacht. Er braucht eine Partnerin, die ihm zuhört und ihn versteht.
👉 Fazit: Meideverhalten ist kein Respekt, sondern ein Hilferuf.
Wer es erkennt, kann Vertrauen, Sicherheit und echte Zusammenarbeit schaffen – so wie eine gute Lehrerin, die nicht auf stille Kinder stolz ist, sondern ihnen die Hand reicht.
Liebe Cornelia, vielen Dank für die neuerliche Erläuterung, ich bin so froh, dass ich die Bedeutung der Beschwichtigungssigale bei dir lernen durfte. Das Wissen hilft uns im Alltag sehr. Liebe Grüße Manuela und Nino