Im Alltag mit Hund gibt es immer wieder Situationen, in denen wir schnell reagieren müssen: Ein plötzlicher Radfahrer auf dem Gehweg, ein freilaufender Hund, der um die Ecke geschossen kommt, oder ein lautes Geräusch, das unseren Hund erschreckt. Reagieren ist in solchen Momenten notwendig – doch sollte es nicht unser hauptsächlicher Trainingsansatz sein.
Langfristig wollen wir ins Agieren kommen. Das bedeutet, dass wir nicht nur auf das Verhalten unseres Hundes reagieren, sondern aktiv dafür sorgen, dass er sich von Anfang an in einer Situation angemessen verhalten kann. Wir schaffen also bewusst die Bedingungen für erwünschtes Verhalten, statt unerwünschtes Verhalten erst zuzulassen und dann zu korrigieren.
Warum Reagieren allein nicht reicht
Wenn wir nur reagieren, bedeutet das, dass unser Hund bereits in einer schwierigen Lage ist und wir versuchen, das unerwünschte Verhalten zu korrigieren. Nehmen wir ein Beispiel: Dein Hund zieht an der Leine, sobald er einen anderen Hund sieht. Reagieren würde bedeuten, ihn jedes Mal zu korrigieren, sobald er ins Ziehen verfällt. Aber das bringt ihn nicht dazu, das Verhalten von sich aus zu ändern.
Lerntheoretisch betrachtet bedeutet das:
- Das unerwünschte Verhalten (Leinenziehen) wird immer wieder gezeigt und dadurch gefestigt.
- Eine Korrektur (z. B. ruckartiges Anhalten oder ein strenges Wort) kann für den Hund aversiv sein, also unangenehm oder sogar stressauslösend.
- Statt die Ursache des Verhaltens zu adressieren, setzen wir nur an den Symptomen an.
- Im schlimmsten Fall kann unser Hund uns mit der Korrektur in Verbindung bringen, was zu Verunsicherung oder Konflikten führen kann.
Agieren – Wie du erwünschtes Verhalten etablierst
Statt immer nur nachträglich einzugreifen, sollten wir vorausschauend trainieren und unseren Hund auf solche Momente vorbereiten. Bleiben wir beim Beispiel der Hundebegegnung:
- Schritt 1: Alternative Verhaltensweisen etablieren
Dein Hund kann lernen, sich bei dir eine Belohnung abzuholen oder sich auf ein bestimmtes Signal hin neben dir zu setzen, anstatt in die Leine zu springen. Dies kann durch positive Verstärkung trainiert werden – indem wir das erwünschte Verhalten belohnen und es somit für den Hund lohnenswert machen. - Schritt 2: Training unter kontrollierten Bedingungen
Statt zu warten, bis ihr unvorbereitet auf einen anderen Hund trefft, übst du gezielt mit einem Trainingspartner. Dein Hund bekommt die Chance, eine erwünschte Strategie zu lernen – ohne dass er erst ins unerwünschte Verhalten fällt. Hierbei setzen wir auf strukturiertes Training mit kleinen, gut planbaren Trainingsschritten. - Schritt 3: Sicherheit durch Wiederholung
Je öfter dein Hund sein neues Verhalten erfolgreich zeigt, desto mehr wird es zu seinem automatischen Verhalten. So brauchst du in Zukunft nicht mehr hektisch eingreifen, sondern dein Hund weiß genau, was zu tun ist. Durch regelmäßiges Training und den richtigen Aufbau der Ablenkungen wird das Verhalten gefestigt und in unterschiedlichen Situationen abrufbar.
Weitere Beispiele aus dem Alltag
Beispiel 1: Hund bleibt nicht alleine
Stell dir vor, dein Hund beginnt zu jaulen, sobald du die Tür hinter dir schließt. Wenn du erst reagierst, wenn er bereits gestresst ist, dann bist du wieder im Reagieren-Modus. Besser wäre es, das Alleinbleiben von Anfang an in kleinen Schritten aufzubauen – mit kurzen Zeitfenstern, in denen er gar nicht erst ins Jaulen kommt. So lernt er, dass deine Abwesenheit nichts Bedrohliches ist.
Lerntheoretischer Hintergrund:
- Durch eine schrittweise Gewöhnung mit positiver Verstärkung bleibt der Hund in einer emotional stabilen Lage.
- Unruhe oder Angstverhalten wird gar nicht erst ausgelöst, sondern aktiv vermieden.
- Der Hund verbindet das Alleinbleiben mit positiven Erfahrungen, anstatt Angst und Stress zu entwickeln.
Beispiel 2: Hund bellt an der Tür
Ein Hund, der bei jedem Klingeln lautstark bellt, macht das nicht aus Trotz, sondern weil er es als seine Aufgabe sieht, Alarm zu schlagen. Reagieren würde bedeuten, ihn erst dann zu ermahnen oder abzulenken, wenn er bereits bellt. Agieren bedeutet, ihn im Vorfeld zu trainieren, dass er bei einem Klingelgeräusch ein alternatives Verhalten zeigt – zum Beispiel auf seinen Platz zu gehen und dort eine Belohnung zu erhalten.
Warum ist das effektiver?
- Wir setzen an der Ursache an (die Erwartung des Hundes, handeln zu müssen) und lenken sie in gewünschte Bahnen.
- Der Hund erhält eine klare Handlungsstrategie, die er in der Situation abrufen kann.
- Durch gezieltes Üben wird das Verhalten zu einer verlässlichen Routine.
Fazit: Agieren schafft echte Sicherheit
Natürlich gibt es immer Momente, in denen wir schnell reagieren müssen. Aber sobald wir merken, dass unser Hund mit einer bestimmten Situation Schwierigkeiten hat, sollten wir gezielt ins Training gehen. Wir bringen ihm bei, eine erwünschte Verhaltensweise zu zeigen – anstatt ihn erst ins falsche Verhalten laufen zu lassen und dann zu korrigieren.
Indem wir proaktiv agieren, sorgen wir für klare Strukturen, vorausschaubares Verhalten und weniger Stress – für uns und unseren Hund. Das Resultat ist ein sicherer, entspannter Begleiter, der weiß, was von ihm erwartet wird, und in herausfordernden Momenten auf Gelerntes zurückgreifen kann.
Das bedeutet jedoch nicht, dass wir unsere Hunde in Watte packen oder ihnen jede Herausforderung ersparen. Vielmehr geht es darum, sie nach ihren individuellen Bedürfnissen, Erfahrungen und vorhandenen Ressourcen an Situationen zu gewöhnen. So können sie lernen, mit verschiedenen Reizen und Herausforderungen umzugehen und ein zuverlässiger Begleiter im Alltag zu werden.